Verrampte Züge – weitere 30 Jahre ohne Barrierefreiheit in Schleswig-Holstein?

Erstellt von Julia Walter | |   Mobilität

Ende Oktober 2019 informierte Nah.sh (Aufgabenträger für den SPNV in Schleswig-Holstein) am „runden Tisch für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste“ über die Bestellung von 18 Elektrozügen für die Strecke Fehmarn- Hamburg. Der Vertrag mit der Fa. Stadler wurde bereits im April 2019 unterschrieben! Die Planung zur Innenausgestaltung war im Oktober bereits weitgehend abgeschlossen. Die anwesenden VertreterInnen von BSK, DMSG, Lebenshilfe, SoVD und VDK waren nach der Vorstellung der Planung durch die Fa. Stadler fassungslos! Beteiligung behinderter Menschen sieht eben anders aus!

Bei den bestellten Doppelstockzügen wird der Zugang bei allen Waggons auf der Höhe von Bahnsteigen mit 76 cm über Schienenoberkante liegen. Das wurde in der Ausschreibung so festgelegt. Die Planer mussten daher mit erheblichen Höhenunterschieden arbeiten um Unter- und Obergeschoss erreichbar zu machen. Ergebnis: 3 Rampen mit je 15 % Gefälle bzw. Steigung müssen überwunden werden um das Untergeschoss zu erreichen. Die Planer orientierten sich dabei weitgehend an der Einhaltung der TSI-PRM (europäische Zugbaurichtlinie), die von Nah.sh in der Ausschreibung so vorgegeben wurde. Für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste bedeutet eine derartige Planung nicht nur eine erhebliche Erschwernis sondern für Rollstuhlnutzer eine Gefährdung durch das Aufsetzen nicht höhenverstellbarer Fußstützen (bis zum Bruch der Fußstützen!). Rollatornutzer, die sich fest auf ihr Hilfsmittel aufstützen müssen, werden erhöhter Sturzgefahr ausgesetzt sein.

Die anwesenden VerbandsvertreterInnen lehnten diese Planung konsequent ab und forderten den Einsatz eines barrierefreien Wagens, der den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention, dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz und dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz S-H gerecht wird. Das bedeutet: der Zugang muss selbständig und ohne fremde Hilfe bewältigt werden können! Bei neuen Produkten ist das selbstverständlich vorauszusetzen. Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein, Prof. Dr. Hase, unterstützt die Forderung der Verbände nach einem barrierefreien Wagen. Nah.sh und die Fa. Stadler lehnten ab.

Mitte Dezember 2019 gab es eine weitere Sitzung bei Nah.sh. Zwischenzeitlich wurden die Rampensteigungen reduziert: Eingangsrampen 9%, Rampe zum Fahrgastraum 12%, Rampe zum WC 6%. Von Barrierefreiheit weiter nichts zu erkennen. Im Gegenteil: durch die veränderten Eingangsrampen (an zwei gegenüberliegenden Türen) wurde die ebene Fläche zwischen den Rampen auf 100cm reduziert. Vorher waren es 117cm, die auch nicht TSI-PRM konform waren. Auf 100cm kann eventuell ein Kinderrollstuhl stehen – alle anderen Rollstühle stehen schon schräg auf den Rampen, wenn einem Nutzer wirklich die Zufahrt zu dieser Fläche gelingt. Die Reduzierung der Rampen am Eingang ziehen also neue Probleme nach sich.

Fazit: Diese neuen Züge sind weit entfernt von Barrierefreiheit! Alle Fahrgäste werden mehr oder weniger Schwierigkeiten bei der Nutzung haben, denn die Rampen werden in allen Wagen des Zuges 15% Gefälle bzw. Steigung haben! Ausgenommen davon sind die jetzt reduzierten Rampen in dem Wagen für behinderte Menschen!

Jetzt will Nah.sh bis Ende Januar ein Holzmodell des Wagens zur Erprobung herstellen lassen. Die Dresdner Verkehrsbetriebe haben ein Modell der neuen Straßenbahnwagen vor der endgültigen Planung erstellen lassen!

Heike Witsch, Mitglied im BSK-Fachteam Mobilität

Zurück
Bild zeigt Profilbild von Heike Witsch
Heike Witsch