Kein Örtchen. Nirgends - eine Rezension

Erstellt von Julia Walter | |   Bauen

Dass die Erreichbarkeit einer so genannten Behindertentoilette für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, essentiell ist, leuchtet sofort ein. Und immerhin ist das einschlägige Piktogramm heutzutage häufig anzutreffen. Dass damit aber noch keineswegs eine befriedigende Situation erreicht ist, wissen wohl nur die Betroffenen.

Welche Probleme ganz konkret auftreten und die Benutzung einer eigentlich so ausgewiesenen Toilette unmöglich machen oder stark erschweren, das haben Claudia und Bernd Hontschik mit großer Akribie vorbildlich dokumentiert. Was ist ihre Methode gewesen: Sie haben die häufig anzutreffenden Hindernisse fotografiert, analysiert und zudem mit Unterstützung einer Zeichnerin so eindringlich dokumentiert, dass das Lesen von Seite zu Seite hoch illustrativ ist. Wer macht sich schon Gedanken, welche Barrieren „kräftige Türschließer“ hervorrufen, die in der Regel nur mit Hilfe tatkräftiger Begleitung zu überwinden sind – während elektrifizierte, leicht öffenbare Türen immer noch ein Glücksfall sind.

Wir erfahren, wodurch sogenannte behindertengerechte Toiletten de facto unbenutzbar gemacht werden: unzureichende Wendekreise, ungeeignete Waschbecken, nicht erreichbare Knöpfe und Toilettenpapier, Missbrauch als Abstellkammer, um besonders häufige Beispiele zu nennen. Der Weg zur Toilette führt nicht selten über kräftemäßig schwer überwindbare Steigungen, das Auffinden „des Örtchens“ ist gelegentlich ein Ratespiel.

Es werden aber auch vorbildliche Lösungen vorgestellt, und es stellt sich die Frage, warum diese nicht die Regel sind. Warum werden die prinzipiell guten DIN-Norm 18040 und die VDI-Richtlinie 6000 nicht regelhaft erfüllt? Claudia Hontschik, die all die hier geschilderten Hürden selber erfahren hat, schreibt, dass viele auf einen Rollstuhl angewiesene Menschen ihr Recht auf gesellschaftliche Teilhabe nicht wahrnehmen und daheim bleiben, weil sie vor den in diesem Buch geschilderten Hürden kapitulieren.

Das WC wird zum Gradmesser für Gleichheit – und ist damit alles andere als ein „Spezialproblem“: es geht uns alle an, und es müsste die zuständigen Ämter, öffentliche Einrichtungen, Theater und Kinos, Hotels und Gaststätten noch weit mehr interessieren als es heute bereits der Fall ist. Bleibt die Frage, wer zur Unterstützung der Betroffenen weiter gewonnen werden kann. Das Buch stimmt mehr als nachdenklich.

Von Norbert Schmacke

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Bild zeigt das Cover des Buches (weißer Hintergrund mit Rollstuhlsymbol und Buchtitel)
Cover des Buches